vom 28.05.2019| Tageblatt| von Sabine Lepél

HARBURG. Vom Tellerwäscher zum Spitzenkoch: Thiruketheeswaran Karalasingam, Inhaber des Restaurants „Momento di“ im Harburger Binnenhafen, kam als Flüchtling in den Hamburger Süden und startete von hier aus eine unglaubliche Karriere.

Der Chef in der Kochjacke wendet sich an einen seiner Mitarbeiter. „Du siehst heute etwas blass aus. Geht es dir nicht gut?“ Das ist typisch für Thiruketheeswaran Karalasingam, Inhaber des Restaurants „Momenti di“ im Harburger Binnenhafen. Er ist ein Kümmerer. Die Menschen liegen ihm am
Herzen. Er nimmt sie und ihre Bedürfnisse wahr. So wie es sich für einen guten Gastronomen gehört.

Keethes, wie Thiruketheeswaran Karalasingam wegen seines langen Namens fast ausschließlich genannt wird, hat in seinem Leben viel erreicht. Er führt eines der besten Restaurants im Hamburger Süden. Es befindet sich in einem ehemaligen Getreidespeicher am Veritaskai direkt am Wasser. Im Sommer sitzen die Gäste gern auf der Terrasse und genießen Keethes besondere Kreationen: feine, fantasievolle Kompositionen aus der mediterranen Küche mit einer authentischen indisch-asiatischen Note.

Das ist es, was den Meisterkoch und sein Lokal auszeichnet: Seine spannende Cross-over-Küche ist das Alleinstellungsmerkmal des „Momento di“, eines der ältesten Restaurants im modernen Binnenhafen-Quartier, das allerdings erst durch Keethes zu einer beständigen Qualität fand.

Der kam mit 19 Jahren als Flüchtling aus Sri Lanka in die Region und brachte es mit unbändigem Fleiß und großem Wissensdurst von der Spülhilfe zum Spitzenkoch. Heute besitzt der 54-Jährige nicht nur ein bekanntes Restaurant im Binnenhafen. Mit seiner Familie wohnt er zudem in einem Eigenheim in
Buxtehude.

In seiner Heimat hatte Keethes Mathematik studiert und wollte Lehrer werden. Diese Pläne zerschlugen sich allerdings mit der Flucht nach Deutschland. Keethes brauchte Mut, Eigeninitiative und einen starken Willen, um fern der Heimat nicht zu verzweifeln. „Aber ich bin auch jemand, der die Herausforderung sucht“, sagt er. „ Und ich habe viel Glück gehabt. Es gab immer Menschen, die mich
unterstützten.“

Der Erste in dieser Reihe war Mario Vallio vom Restaurant „Marco Polo“ in Buxtehude. Dort fing Keethes als Tellerwäscher an. Sein erster Chef entdeckte bei seiner Spülhilfe auch das Talent zum Kochen, das Keethes von seiner Großmutter geerbt hat.

Es schien, als habe Hamburgs Gastronomie nur auf den jungen Mann aus Sri Lanka gewartet. Er machte Karriere in einigen namhaften Häusern in Hamburg. Kethees Karalasingam war Chef de Cuisine im Restaurant „Cappuccino“ der Hamburger Gastro-Legenden Alice von Skepsgardh und Hubertus Henrich, leitete die Küche im „D.O.C.“ am Jungfernstieg und war Sous-Chef im „Rive“. Er kochte mit Eckart Witzigmann und Josef Viehhauser. Und er wagte schließlich den Schritt in die Selbstständigkeit, als er 2009 das „Momento di“ im Binnenhafen übernahm.

Der Chef persönlich serviert ein Spargel-Erdbeer-Menü: Nach dem Gruß aus der Küche gibt es zur Vorspeise ein „Vitello mal anders“ auf zweierlei Spargelsalat und mit Frankfurter grüner Sauce. Eine herrlich erfrischende Komposition. Als Hauptgang folgt weißer Spargel mit Pata-Negra-Iberico-Medaillons in Salbeibutter und mit Butterkartoffeln. Schlicht und einfach gut. Und zum
Dessert kommen Erdbeeren in einer Pannacotta und als frische Früchtchen mit einem Limoncello-Parfait auf den Teller. Ein mit hochwertiger Minze veredelter Traum.

Ab Juni können seine Gäste wieder das beliebte Schlemmer-Menü in drei oder vier Gängen genießen. „Damit möchten wir eine Möglichkeit bieten, verschiedene Spezialitäten des Hauses zu einem günstigen Preis zu entdecken“, sagt Keethes. Außerdem kann er bei dieser Gelegenheit seine Cross-over-Linie voll ausleben und einen sommerlichen Mix an leichten Gerichten anbieten, wie zum Beispiel Scampi Packora auf indische Art auf Thai-Salat mit Dips oder Wolfsbarsch-Filet auf gebratenem Römer-Salat mit grünem Spargel-Kartoffel-Ragout und Limonen-Schaum. Weil Keethes die einheimischen Erdbeeren so liebt, werden sie auch im Juni im Dessert noch die Hauptrolle spielen – im Zusammenspiel mit
Crème brûlée, Pannacotta und Parfait.

Keethes macht keine Schickimicki-Küche, aber Speisen mit Niveau und Anspruch. „Unser Angebot muss zum Standort passen“, sagt er. Die Frische seiner Zutaten hat für den 54-Jährigen oberste Priorität. Täglich fährt der Buxtehuder auf den Markt, um die besten Produkte für seine Gäste zu ergattern.

Die wissen das zu schätzen: Besonders um die Mittagszeit, wenn die Menschen, die in einem der Bürokomplexe im Harburger Binnenhafen arbeiten, zum Mittagstisch zu ihm strömen. „Da kann es in Ausnahmefällen schon mal vorkommen, dass wir jemanden wegschicken müssen. Das tut mir in der Seele weh, aber bevor ich einen Gast nicht vernünftig bewirten kann, mache ich das lieber so“, sagt Keethes. Dem Hindu ist anzumerken, dass es ihn fast körperlich schmerzt, wenn er einen Gast abweisen muss.

Dennoch muss der Gastronom sich immer etwas einfallen lassen, um am Standort zu bestehen. Er braucht nur über die Straße zum gegenüberliegenden Restaurant „Nordlicht“ zu blicken. Nach dem vierten Inhaber-Wechsel steht es wieder leer. „Du musst in dieser Ecke sehr kreativ sein, um die Gäste vor allem abends immer wieder zu dir zu locken“, sagt Keethes. Er kommt an dem immer noch etwas bleichen Mitarbeiter vorbei. Fragt ihn, ob er inzwischen etwas getrunken habe und ob es ihm besser gehe. Der nickt und freut sich über die Anteilnahme seines Chefs. „Meine Mitarbeiter sind für mich wie eine Familie. Es soll ihnen gutgehen“, sagt der leidenschaftliche Koch. „Mir wurde als junger Flüchtling eine Chance gegeben. Das möchte ich auch anderen Menschen ermöglichen.“

Keethes wichtigste Zutat ist eben sein großes Herz.